Materialien zum Nationalsozialismus
Vermögensentzug, Rückstellung und Entschädigung in Österreich

Protokoll


Zu Gesetz: BGBl Nr. 55/1952
Zu Ausschussbericht:Zweiter Bericht des Justizausschusses
Nachweis:GP VI, SNr. 82
Datum:05.03.1952
Protokoll im Original

S. 3153–3176. Die mehr als dreistündige Nationalratssitzung hat nur einen Tagungsordnungspunkt. Der Berichterstatter referiert den Entstehungsprozess des Gesetzesentwurfs, dessen Einbringung durch den Justizausschuss am Vormittag desselben Tages zurückgezogen worden ist: Unmittelbar danach habe eine neuerliche Ausschusssitzung zur Verhandlung der beiden Vermittlungsvorschläge des Bundeskanzleramtes stattgefunden, die dem Nationalrat nun, in der Nachmittagssitzung und ohne Einhaltung der 24-stündigen Auflagefrist, vorgelegt werden. Der erste Vorschlag sieht die Novellierung des Verwaltergesetzes durch Hinzufügung eines § 2a vor, durch den sichergestellt wird, dass die Bundesregierung öffentliche Verwalter einsetzt, wenn gegen die Verfügungsberechtigten von rückgestelltem oder rückzustellendem Vermögen der Verdacht auf Hochverrat vorliegt. Der zweite Vorschlag ergänzt das 1. Rückstellungsgesetz um die Bestimmung, dass für einen Rückstellungsbescheid (bzw. für die grundbücherliche Eintragung eines Eigentumsrechtes) bei Vermögen, die aus den im § 2a des Verwaltergesetzes genannten Gründen unter öffentlicher Verwaltung stehen, die Bewilligung durch die Bundesregierung notwendig ist. Der Ausschuss ist der Meinung, dass „die Starhemberg-Affäre mit der Annahme dieser beiden Gesetzesvorlagen bereinigt und damit der Ausbruch einer schweren innerpolitischen [sic] Krise vermieden werden kann“ (S. 3154). In der äußert heftig geführten Debatte kritisiert zuerst Abg. Ernst Fischer (LB) die überhastete parlamentarische Vorgangsweise. Die Regierungsparteien haben sich über den Willen des Volkes, die „Güter des Arbeitermörders, des Verbrechers Starhemberg“ und „Totengräber[s] der Ersten Republik“ (S. 3154) zu konfiszieren, hinweggesetzt. Die ÖVP habe sich insofern durchgesetzt, als durch die eingebrachten Gesetze das Eigentumsrecht Starhembergs an den, ihm von den Nationalsozialisten entzogenen Gütern nicht angetastet werde. Fischer kritisiert auch die Tatsache, dass dieses Gesetz schon bei bloßem Verdacht auf Hochverrat und durch die Regierung (und nicht durch Gerichte oder das Parlament) angewandt werden soll. Der Linksblock werde „an dieser unwürdigen Komödie“ (S. 3156) nicht mitwirken. Seine Abgeordneten verlassen den Saal. Abg. Helfried Pfeifer (WdU) kritisiert in einer langen juristischen Abhandlung die geschäftsordnungsmäßige Anomalie der Gesetzesentstehung und nennt dann das 3. Rückstellungsgesetz im Unterschied zum 1. ein „Unrechtsgesetz“, weil es „gegen den Schutz des redlichen Erwerbers [verstoße]“ (S. 3160). Auch Abg. Karl Hartleb (WdU) kritisiert die Gesetzesvorlage, holt mit einem geschichtlichen Exkurs über die „Parteiarmeen“ (S. 3162) der Zwischenkriegszeit aus und liefert sich einen Schlagabtausch mit Abg. Bruno Pittermann (SPÖ) und Innenminister Oskar Helmer (SPÖ), dem er das späte Eingreifen der Polizei vorwirft, als er – Hartleb – von kommunistischen Jugendlichen verprügelt worden ist. Abg. Bruno Pittermann (SPÖ) wirft Fischer, der es bedauert hat, dass man die „‘Atmosphäre der Volksempörung‘ […] habe vorbeigehen lassen“ (S. 3164), seine Nähe zur sowjetischen Besatzungsmacht vor, Pfeifer, dass seine Argumente nicht rechtstheoretischen Überlegungen folgen, sondern dem Wählerstimmenfang dienen, und Hartleb, dass er nur über seine Misshandlungen, aber nicht über die vom vorangegangenen Regime verübten, spricht. Die SPÖ werde der Gesetzesvorlage zustimmen. Abg. Ernst Strachwitz (ohne Klubzugehörigkeit, zuvor ÖVP) gibt zu, dass die Gesetzesvorlage den inneren Frieden gerettet habe, sie sei aber nicht verfassungskonform. Zum Schluss der Sitzung werden ein Pro- und ein Kontraredner bestimmt: Abg. Herbert Kraus (WdU) führt aus, dass die SPÖ sich durch den Kompromiss die gefürchteten Neuwahlen erspart habe. Mit dem Vorwurf der „Zweiparteiendiktatur“ (S. 3172) verlassen die Abgeordneten der WdU den Saal. Abg. Lujo Toncic-Sorinj (ÖVP) spricht von der Kompromissfähigkeit der beiden Regierungsparteien und seiner ausdrücklichen Achtung der sozialdemokratischen Opfer des Februar 1934. Die juristischen Einwände des VdU hätten einiges für sich, seien aber so vorgebracht worden, dass sie den innenpolitischen Kampf nur verschärfen würden.